Offener Brief an den Petitionsausschuss der Stadt Wien

Offener Brief an den Petitionsausschuss der Stadt Wien

Die Petition ist eines der wenigen direktdemokratischen Mittel für Bürger*innen, ihre Anliegen unmittelbar den politischen Vertretern zu unterbreiten. Für eine Behandlung eines Anliegens im Petitionsausschuss sind 500 Unterschriften notwendig. „Platz für Wien“ hat 57.760 Unterschriften – über 100 mal so viele wie notwendig – für die 18 Forderungen gesammelt.

In der Sitzung des Petitionsausschusses vom 27. April 2021 wurde die Petition als zulässig erachtet und Stellungnahmen aller zuständigen Stadträt*innen (Ulli Sima, Jürgen Czernohorszky, Christoph Wiederkehr, Peter Hanke) und aller Bezirksvorsteher*innen angefordert. Die Einladung zur Stellungnahme von Bürgermeister Michael Ludwig, der Arbeiterkammer und des Wiener Klimarats wurden hingegen vom Petitionsausschuss mehrheitlich abgelehnt.

In der Sitzung des Petitionsausschusses vom 2. Juli 2021 beschloss der Petitionsausschuss, die „Platz für Wien“-Petition weiter in Behandlung zu lassen, weil die zentrale Stellungnahme – jene der Verkehrsstadträtin Ulli Sima – nicht vorlag. Auch die vorliegenden Stellungnahmen waren teilweise grob unzureichend. Nachforderungen an die jeweiligen Verfasser*innen wurden nicht beschlossen.

In der morgigen Sitzung wird der Petitionsausschuss die Petition „Platz für Wien“ voraussichtlich abschließen und Empfehlungen abgeben – trotz unzureichender Entscheidungsgrundlage: 2 Stadträte (Jürgen Czernohorszky, Peter Hanke) sind nicht auf den Petitionsinhalt eingegangen, 6 Bezirksvorsteher*innen haben praktisch wortgleiche Texte fast ohne Bezirksbezug abgeliefert, und Verkehrsstadträtin Ulli Sima hat die Copy&Paste-Stellungnahme der Bezirksvorsteher*innen zwei Monate später noch einmal plagiiert. Sie verhöhnt damit die 57.760 Unterzeichnenden der Petition, den Petitionsausschuss und die demokratischen Institutionen der Stadt Wien.

Da „Platz für Wien“ zur entscheidenden Sitzung des Petitionsausschusses gar nicht geladen ist, haben wir folgenden offenen Brief an den Petitionsausschuss verfasst:

Ergeht an die Fraktionsvorsitzenden von SPÖ, Neos und Grüne, sowie Klima- & Demokratiestadtrat Czernohorszky

Sehr geehrte Damen und Herren,

da die Petition „Platz für Wien. Die Initiative für eine klimagerechte, verkehrssichere Stadt mit hoher Lebensqualität“ am Freitag, dem 10.9. im Petitionsausschuss behandelt werden wird und wir als Petitionswerber*innen keine persönliche Einladung erhalten haben, erlauben wir uns, auf diesem Weg zum Prozess und zu aus unserer Sicht wünschenswerten Empfehlungen Stellung zu nehmen.

Wie wir bereits im letzten Petitionsausschuss am 2.7. persönlich angemerkt haben, verfehlt ein wesentlicher Teil der abgegebenen Stellungnahmen ihren Zweck. Einige Stadträt*innen und Bezirksvorsteher*innen gehen nicht auf den Petitionsinhalt ein und haben nicht zu deren Auswirkungen auf die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche Stellung bezogen. Aus diesen Stellungnahmen lässt sich daher keine Erkenntnis gewinnen, auf deren Grundlage der Petitionsausschuss eine abschließende Empfehlung über die Petition “Platz Für Wien” aussprechen könnte.

Daher müssen wir auf eine neuerliche Aufforderung der betroffenen Verfasser*innen zur eigenständigen und themenbezogenen Stellungnahme bestehen. Das betrifft insbesondere:

  • StR Jürgen Czernohorszky, der in seiner Stellungnahme weder als Klima- und Umweltstadtrat auf die Bedeutung des Verkehrs für die Klima- und Umweltthematik noch als Personalstadtrat auf die Forderung der Petition nach ausreichend Personal für die Umsetzung der Forderungen eingegangen ist, wodurch der Petitionsausschuss auf Grundlage dieser Stellungnahme bezüglich des Personals keine Empfehlung aussprechen können wird.
  • StR Peter Hanke, der, statt als Finanzstadtrat eine Einschätzung zu den für die 18 Forderungen aufzuwendenden budgetären Mitteln abzugeben, vom Petitionsausschuss ungefragt die Wiener Linien zu einer Stellungnahme gebeten hat, wodurch der Petitionsausschuss auf Grundlage dieser Stellungnahme bezüglich des Budgets keine Empfehlung aussprechen können wird.  
  • Die Bezirksvorsteher*innen Alexander Nikolai (2.), Markus Franz (10.), Wilfried Zankl (12.), Michaela Schüchner (14.), Hannes Derfler (20.) und Ernst Nevrivy (22.), die – bis auf wenige Sätze – wortgleiche Stellungnahmen abgegeben haben, weshalb der Petitionsausschuss auf Grundlage dieser Stellungnahmen keine Empfehlungen für die genannten Bezirke abgeben können wird. 
  • StR Ulli Sima, die den Abschluss der Petition im Ausschuss im Juli durch ihre fehlende Stellungnahme (mit Hinweis auf die „Beantwortung des umfangreichen Forderungskataloges“ durch die „Geschäftsgruppe Innovation, Stadtplanung und Mobilität“) verzögert hatte und nun eine praktisch wortgleiche mit jener der sechs o.g. Bezirksvorsteher*innen abgegeben hat, weshalb der Petitionsausschuss auf Grundlage dieser – für den Petitionsinhalt zentralen – Stellungnahme keine Empfehlungen für den Zuständigkeitsbereich der Verkehrsstadträtin abgeben können wird. 
  • Die themenfremde Stellungnahme von Bezirksvorsteherin Ilse Pfeffer (zum temporären Radweg in der Alszeile) wurde auch noch nicht durch die richtige ersetzt, weshalb der Petitionsauschuss auf Grundlage dieser falschen Stellungnahme keine Empfehlungen für den 17.Bezirk abgeben können wird.

Auch den Wunsch nach einer Aufforderung zur Stellungnahme zu „Platz für Wien“ an Bürgermeister Michael Ludwig sowie an den Klimarat der Stadt Wien erneuern wir.

Am 2.7.2021 hat der Petitionsausschuss beschlossen, “die Petition [Platz Für Wien] weiterhin in Behandlung zu lassen, um die zahlreichen eingelangten Stellungnahmen einer umfassenden und vertieften Betrachtung unterziehen zu können”.

Die größte Petition Wiens jetzt abzuschließen, während neun (!) zuständige Politiker*innen keine Auseinandersetzung mit dem Thema geleistet haben und eine Stellungnahme noch komplett ausständig ist, wäre weder den demokratischen Institutionen der Stadt Wien würdig, noch würde es dem dramatischen Ausmaß der auch in Wien spürbaren Klimakrise gerecht.

Wir bitten daher den Petitionsausschuss der Stadt Wien und seine Mitglieder als einen der wenigen direkten Schnittstellen zwischen Stadt und Bevölkerung nicht voreilig und ohne ausreichender Entscheidungsgrundlage zu handeln und stattdessen den Willen der Bevölkerung zu respektieren.

Sollte der Petitionsausschuss die Petition trotz mangelhafter Entscheidungsgrundlage abschließen wollen, lassen sich auch unserer Sicht folgende Empfehlungen aus den vorliegenden Dokumenten ableiten:

  • Die zuständigen Stadträt*innen werden ersucht, die existierenden verkehrs- und umweltpolitischen Zielsetzungen (Smart City Rahmenstrategie; STEP 2025; Fachkonzepte Mobilität, Öffentlicher Raum sowie Grün- und Freiraum; Kinder- und Jugendstrategie) auf Bezirksebene herunterzubrechen und verpflichtende Ziele je Bezirk zu erarbeiten.
  • Die Bezirksvorsteher*innen werden ersucht, basierend auf den zu erarbeitenden Bezirkszielen in Zusammenarbeit mit der Bezirksbevölkerung verpflichtende Bezirksverkehrskonzepte zu entwickeln, die klare Reduktionspfade (Emissionen, Kfz-Verkehr) und konkrete Maßnahmen zur Umverteilung des öffentlichen Raums enthalten.
  • Die Vergabe städtischer Fördermittel sollte an die Erarbeitung von entsprechenden Bezirkszielen und die Umsetzen von Umverteilungsmaßnahmen gebunden werden, um die Förderung nicht zielkonformer Projekte zu verhindern. 

Die Mitglieder des Petitionsausschusses wissen, ebenso wie die Unterstützer*innen von “Platz Für Wien”, dass in der Wiener Verkehrspolitik dringend ein Kurswechsel vollzogen werden muss. 

Der kürzlich erschienene IPCC Report warnt, dass viele Klimaschäden schneller eingetroffen sind als vorhergesehen. Eine kollektive Herausforderung wie die Klimakrise ist nur gemeinsam zu bewältigen. Auch die Stadt Wien muss reagieren und endlich verbindliche Ziele und Maßnahmen setzen – vor allem im Verkehrsbereich.

Im Namen von 57.760 Wiener*innen,
Ulrich Leth und Platz Für Wien